Wir sind die Aufstände der Erde

Nicht Les Soulèvements de la Terre, sondern Staat, Industrie und FNSEA (agrarindustrieller Bauernverband) sind die wahren „Ökoterroristen“!

Im Nachbarland Frankreich hat sich in den letzten beiden Jahren eine breite Bewegung, Les Soulèvements de la Terre (SLT, Erhebungen der Erde), gebildet. Mit zahlreichen Aktionen auch des zivilen Ungehorsams, der Sabotage und militanten Vorgehens kämpft dieses aus mehreren lokalen Kollektiven, Bauernhöfen, Gewerkschaftssektionen, Wissenschaftler*innen und NGOs bestehende Netzwerk gegen die zerstörerische, ökozidale, klimaschädigende Agrar-, Chemo- und Bauindustrie.

Auf ihrem mittlerweile ruhenden Twitterkanal schreiben sie einleitend: „Die ökologische Katastrophe wird nicht kommen, sie ist bereits da. Wir werden die Verantwortlichen ins Visier nehmen und blockieren, das entwurzelte Land besetzen und kultivieren„.

Konkret wurden Blockaden gegen den Bau von Autobahnen durchgeführt, Land besetzt um gegen Spekulation und steigende Bodenpreise vorzugehen wie im Jura, gegen das Mega-Eisenbahnprojekt Lyon-Turin mobilisiert und gegen die produktivistische Logik einer digitalisierten Landwirtschaft.

Zwei Jahre Erhebungen im Schnelldurchlauf.

Und die Bewegung vermag es exzellenten Traubensaft zu produzieren! Im Rahmen einer Aneigungsaktion in einem im Department Var gelegenen Weinberg des Luxusgüter-Konzerns LVMH (Louis Vuitton Moet Hennessy) unter der Leitung des Milliardärs Bernard Arnault konnten Ende August 2022 1,5 Tonnen Trauben geerntet und vor Ort zu Saft gepresst werden. 300 Beteiligte sangen: „O Bernard Arnault, du Dachs, wir kommen, um bei dir zu ernten!“ auf die Melodie eines Warnrufs der Gelbwesten-Bewegung oder „Bernard, wenn du wüsstest, dein Pinard, was wir daraus machen. Saft! Der Saft! Es gibt kein Zögern! Wir trinken, wir trinken, auf die Revolution!“

Andernorts trifft die Bewegung im Kampf gegen Mega-Bassins auf massive Polizeigewalt. „Wir haben zwar mit Gas, Granaten, Panzern und dem gesamten militärischen Arsenal gerechnet, das regelmäßig zum Einsatz kommt, aber nicht mit diesem Ausbruch.“

Mega-Bassins sind riesige künstlich angelegte Wasserspeicher, in die kostbares Grundwasser gepumpt wird, damit ein paar wenige große Agrarbetriebe ihre Felder in Dürrezeiten bewässern können. Kleine Landwirt*innen haben so gut wie keinen Zugang. Die ökologischen Folgen sind fatal, sehr viel Wasser verdunstet, der Grundwasserspiegel sinkt, Plastik wird eingesetzt. Bewässert werden vor allem Futtermittel wie Mais und Pflanzen für Bio-Sprit. Der nationale Bauernverband FNSEA hetzt regelrecht gegen die Gegner*innen der Mega-Bassins.

Beteiligte dieses Kampfes um Wasser sehen sich mit „einer Aufstandsbekämpfungsoperation mit medialen, psychologischen und militärischen Komponenten“ konfrontiert.

Was ist passiert? Ende März diesen Jahres beteiligten sich trotz Verbots und massiver Präsenz von Polizei und Gendarmerie 30.000 Menschen am Versuch einer Umzingelung eines Mega-Bassins bei Saint-Soline, um gegen die Privatisierung des Wassers vorzugehen. Stellenweise wurden von kleineren Gruppen Zäune niedergerissen und Polizeiketten durchbrochen, mindestens zwei Polizeifahrzeuge brannten. Vor allem aber empfing die Teilnehmenden der Massenaktion gleich zu Beginn heftigster Granatenbeschuss, um sie auf Distanz zu halten, in zwei Stunden verschoss die Polizei 5.000 Granaten, und zwar auch so dass sie in Kopfhöhe explodierten. Am Ende gab es 200 Verletzte, darunter 40 Schwerverletzte, zwei der Protestierenden wurden ins Koma geschossen – glücklicherweise sind beide mittlerweile wieder aufgewacht und auf dem Weg der Besserung. Rückblickend bewerten es einige Beteiligte als Fehler, sich dieser „Mordlust“ der staatlichen Gewalt ausgesetzt zu haben. Gelungenere kleinere Demos mit Traktoren und die wertvolle stattgefundene Vernetzungsarbeit im riesigen Camp des Wochenendes gingen leider unter.

In Folge dieser immensen und beinahe tödlichen Polizeigewalt wurden landesweit mit den Opfern solidarische Versammlungen einberufen. Der unter Druck geratene französische Staat und zugehörige Medien sprachen von „Kriminellen“ und „Ökoterroristen“ und versuchten, die heterogene Allianz von Umweltorganisationen, der französischen Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne und militanten Gruppen zu spalten. Ohne Chance, eine Petition, zu der SLT aufrief, erhielt bis dato bereits über 145.000 Unterschriften.

Eine „Entwaffnungs“-Aktion wurde bereits im Dezember 2022 gegen das Zement-Unternehmen Holcim-Lafarge in der Nähe von Marseille, einem der größten Umweltverschmutzer und CO2-Produzenten des Landes, durchgeführt. 200 mit weißen Overalls bekleidete Umweltschützer*innen drangen auf das Betriebsgelände, machten sich an Verbrennungsanlage und elektrischen Geräten zu schaffen, durchtrennten Kabel, schlitzten Zementsäcke auf, beschädigten Fahrzeuge, Baumaschinen, Bürofenster … Beklagter Sachschaden: 4 Millionen Euro.

Am 05.06.23 reagierte der Staat mit Razzien und vorübergehenden Festsetzungen von 15 Menschen. Der Vorwurf: „Bildung einer kriminellen Bande“.

Hierzu das Kommuniqué von Les Soulèvements de la Terre, 15.06.23.

Doch Widerstand ließ und lässt sich nicht und vor allem nicht dauerhaft einschüchtern. Am Wochenende nach den Verhaftungen fand im Département Loire-Atlantique ein „Sandkonvoi“ von Saint-Colomban in Richtung Nantes gegen Sandsteinbrüche von Holcim-Lafarge und GSM statt, mit 1.500 Menschen, auf Traktoren und Fahrrädern. Der Sand wird von der Bauindustrie, aber auch für eine intensive Form des Gemüseanbaus vernutzt, der auch Pestizide einsetzt. Symbolische Aussaaten wurden durchgeführt.

Im Laufe der Jahre hat sich ein wahres Meer aus Plastik angesammelt. Als Gegenpol zum bäuerlichen, umweltfreundlichen Gemüseanbau für die Bewohner der Region haben wir es hier mit einem kapitalistischen Konsortium zu tun, das landwirtschaftliche Flächen zerstört und vergiftet, um Feldsalat und Maiglöckchen weltweit zu exportieren. Es ist die Verkörperung der Agroindustrie, die wir ablehnen: intensiver Einsatz von Pestiziden, Abpumpen von Wasser aus dem Grundwasser und Lagerung in Bassins, Ausbeutung von Migrant*innenarbeitskräften“.

Ein weiterer Konvoi startete etwas später von Héric aus mit 300 Personen und 10 Traktoren mit Anwohner*innen, der sich gegen die Eröffnung neuer Sand- oder Granulatsteinbrüche in Soudan, Grand-Auverné und Guémené-Penfao sowie gegen die Errichtung eines Asphaltmischwerks in Puceul und damit gegen die zunehmende Betonisierung des Departements stellte.

Am 21.06. erließ die Regierung nun das angekündigte Verbot von SLT und ließ am Vortag erneut Wohnungen durchsuchen und acht Menschen festnehmen. Der Vorwurf: Angriff gegen Polizist*innen, Aufruf zu Sabotage, bezogen auf die Massenaktion bei Saint-Soline. Bewegung wie Unterstützende reagierten mit 150 spontanen Versammlungen im ganzen Land. SLT will vor dem Staatsrat Einspruch einlegen.

Aber ein Aufstand wird nicht aufgelöst. Alles geht weiter. Denn ihr seid, wir sind alle und alles, die Erhebungen der Erde“

Angesichts der anhaltenden Bedrohung schlagen wir Ihnen ein großes Spiel vor. Ein Spiel, das ernster nicht sein könnte, ein Spiel, das ein Netzwerk des Widerstands bildet. Wir werden in den kommenden Tagen und Wochen gemeinsam die Aufstände der Erde auf 1000 Arten im öffentlichen Raum weiter sichtbar machen: vor Kneipen und Sozialzentren, in der Kaffeepause, durch offene Treffen, internationale Antennen, Wandbeschriftungen, Wimpel und Feste, Entwaffnung und Gänsefüßchen. Trotz der Auflösung werden die Aufstände spontan auf Baustellen oder inmitten eines Industriegeländes wieder auftauchen, die Straßen mit Geschrei gegen die Warenordnung überfüllen und in Piratengärten, Kollektivhäusern oder gemeinsamen Bauernhöfen Wurzeln schlagen. Es liegt an Ihnen und an uns, das herauszufinden“.

Einige Protestdemonstrationen und weitere Aktionen sind in Vorbereitung, so ein Wasserkonvoi, der am 18. August von Sainte-Soline aus über den Sitz der Wasseragentur Loire-Bretagne in Orléans nach Paris fahren wird.

Solidarität mit SLT, Solidarität mit dem Aufstand Der Letzten Generation! Denn auch hierzulande gilt: Die wahren „Kriminellen“ und „Terroristen“ sind die Klima und Umwelt zerstörenden Unternehmen und weiter an „grünem“ Wachstum und Profit orientierten Politiker*innen!

Das Land den Bäuer*innen und denjenigen, die sich darum kümmern, weltweit!

Landgrabbing und steigende Bodenpreise stoppen! Sie bedrohen zusammen mit der industriellen Bearbeitungsform des Bodens die (klein)bäuerliche Landwirtschaft.

Unterstützen wir die Proteste gegen die industrielle Landwirtschaft, Bodenvernutzung und Tierfabriken in unserer direkten Nachbarschaft in Brandenburg und anderswo!
Gemeinsam gegen die Tierindustrie. Junge AbL. Aktion-Agrar.

Kein Mercosur-Akbommen, das in Europa wie in Abya Yala (Mittel- und Südamerika) kleinbäuerliche Strukturen zerstört!

Nachtrag: Hier zur Diskussion ein Statement, das SLT durchweg als eine intransparente Gruppe ehemaliger ZADler*innen von Notre-Dame-des-Landes betrachtet.