2021 im Oktober waren Zapatistas aus Chiapas/Mexiko im Rahmen ihrer „Reise für das Leben“ zum direkten Austausch mit lokalen Gruppen und Initiativen in verschiedenen europäischen Ländern und Städten unterwegs, so auch in Berlin, um die gleichberechtigte Vernetzung von Widerständigkeiten voranzubringen. Eine Veranstaltung von Compas mit einer Delegation fand in unserem Garten statt. Sie sprach über ihren Widerstand und die Kämpfe um Autonomie und deren Organisierung.
Über den Jahreswechsel feiert die EZLN ihr 40-jähriges Bestehen und natürlich den 30. Jahrestag ihres Aufstands am 01.01.1994. Seither hat die zapatistische Bewegung viele Entwicklungen durchgemacht, fortwährend bekämpft von staatlichen, parteinahen und paramilitärischen Kräften. Aktuell sind die zapatistisch organisierten lokalen Gemeinden durch den Krieg zweier großer Narco-Kartelle stark bedrängt. Eine Reihe von Presseerklärungen wurden veröffentlicht.
Die zapatistische soziale Bewegung erfährt derzeit eine organisatorische Umstrukturierung, den Eintritt in eine „neue Etappe“, eine Reaktion auf gewisse Unzulänglichkeiten wie ungenügender Schutz exponierter Personen und Gemeinden und wohl auch im Hinblick auf gewisse private Vorteilsnahmen.
Das Hauptproblem besteht jedoch in der verflixten Pyramide. Die Pyramide trennte die Verantwortlichen, die Autoridades, von den Pueblos ab; Pueblos und Verantwortliche entfernten sich voneinander. Die Vorschläge der Verantwortlichen gelangten nicht nach unten zu den Pueblos [als Basis], wie auch die Meinungen der Pueblos nicht die Verantwortlichen erreichten.(…) Eine Pyramiden-Struktur kann vielleicht dem Militärischen dienlich sein, jedoch nicht dem Zivilen. (…) Nun also, was wir taten, war, die Pyramide umzustürzen. Wir rammten sie an der Spitze. Oder besser ausgedrückt: Da wir sie umdrehten, haben wir sie auf den Kopf gestellt.
(Zehnter Teil: Über Pyramiden und ihren Gebrauch)
Die Basisgemeinden werden weiter gestärkt. Hatten sie bereits bisher die zentrale Entscheidungsmacht, übernehmen sie nun auch Verwaltungs- und Koordinierungsaufgaben, die zuvor höhere Instanzen inne hatten. Hierzu berufen Lokale Autonome Regierungen Beauftragte bzw. Bevollmächtigte. Diese lokalen Regierungen können das Kollektiv der zapatistischen Autonomen Regierung einberufen zum Austausch und für übergeordnete Aufgaben. Für weitere Vernetzung sorgt die Versammlung der Kollektive der Autonomen Regierung. Die bisherigen höheren Instanzen Zapatistische Rebellische Autonome Landkreise und Räte Der Guten Regierungen mit ihren starken Koordinierungsaufgaben werden aufgelöst. Statt dutzende Autonome Landkreise soll es quasi nun tausende Lokale Autonome Regierungen an der Basis geben.
Ein wichtiger Beschlusspunkt ist zudem, das seit dem Aufstand wiedergewonnene Land interessierten Zapatistas wie auch Nicht-Zapatistas der Nachbargemeinden zur zeitweisen Nutzung zur Verfügung zu stellen. Dies wird bereits stellenweise praktiziert. Das was geerntet wird soll den Besteller*innen gehören. Das könnte bestehende Konflikte der verschiedenen Pueblos um Land entschärfen helfen. Die Landfrage ist entscheidend, Boden ist Produktionsmittel und sichert viele Existenzen, neben (zeitweiser) Lohnarbeit.
Wenn danach gefragt wird, ob es Land von Zapatistas oder Parteianhänger*innen oder von wem auch immer sei – nun, es ist Land von keinem von ihnen. Beziehungsweise, es ist Land von allen – was dasselbe bedeutet. Es gibt keinen Comisariado-Verantwortlichen, keinen Agente-Beauftragten, der zu kaufen, zu ermorden wäre oder verschwunden gemacht werden könnte. Was es gibt, sind Pueblos, die diese Ländereien bearbeiten und bewahren. Und sie verteidigen.
(Zwanzigster und letzter Teil: Das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum)
Als ein Grundproblem wird das Privateigentum benannt. So wurden im Zuge der NAFTA-Freihandelsabkommen 1994 auch die bisherigen gemeinschaftlichen Gemeindeflächen (Ejidos, eine Errungenschaft der Mexikanischen Revolution 1910-20) geöffnet und privatisiert. Die Gegnerschaft zu diesem Abkommen war ein wichtiger Anlass für den Aufstand der EZLN und ihr entschlossenes „Ya Basta!“, das durch den Aufbau von organisierter Gegenmacht bis heute weiterwirkt – und sich beständig fortzuentwickeln scheint.
Der aktuelle Zapatismus bietet mit seinen transnationalen, antistaatlichen, antikapitalistischen, antirassistischen, antikolonialen, feministischen, indigene Rechte einfordernden und die Kämpfe aller Marginalisierten einbeziehenden Ansätzen nach wie vor viele Andockpunkte für eine hiesige radikale Linke jenseits kulturalistischer Konstruktionen. Der anfängliche mediale Hype in den 90er Jahren, der neben den Intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus mit ihren Impulsen zum Aufbau eines globalisierungskritischen Netzwerks auch stark mit der Figur „Subcomandante Marcos“ verknüpft war, hat über die Jahre stark abgenommen, auch in Folge der erfolgten Konzentration auf die eigenen Kräfte und den weiteren Aufbau lokaler Autonomie.
Solidarische Strukturen bestehen jedoch in reduzierter aber beständiger Form weiter, und immer wieder beziehen sich hiesige Kämpfe zu Recht auf die „gelebte Utopie“ der zapatistischen Bewegung, wohl auch ein Ergebnis ihrer sehr anschlußfähigen programmatischen Offenheit bzw. notwendigen Beweglichkeit, letzteres zuweilen auch als Reaktion auf Kritik aus dem linken Spektrum, wie es scheint.
Alto a la guerra contra los Zapatistas!
Alto a la guerra contra las comunidades indigenas en Mexico!
Por las luchas sociales contra los Megaproyectos y la Hidra del capitalismo global!